Sozusagen ein Mailied
(Text: Mascha Kaléko, Musik: Dieter Halbach)
Manchmal, mitten in jenen Nächten,
Die ein jeglicher von uns kennt,
Wartend auf den Schlaf des Gerechten,
Wie man ihn seltsamerweise nennt,
Denke ich an den Rhein und die Elbe,
Und kleiner, aber meiner, die Spree.
Und immer wieder ist es dasselbe:
Das Denken tut verteufelt weh.
Manchmal, mitten im freien Manhatten,
Unterwegs auf der Jagd nach dem Glück,
Hör ich auf einmal das Rasseln der Ketten.
Und das bringt mich wieder auf Preußen zurück.
Ob dort die Vögel zu singen wagen?
Gibt’s das noch: Werder im Blütenschnee . . .
Wie mag die Havel das alles ertragen,
Und was sagt der alte Grunewaldsee?
Manchmal, angesichts neuer Bekanntschaft
Mit üppiger Flora, – glad to see –
Sehnt sichs in mir nach magerer Landschaft,
Sandiger Kiefer, weißnichtwie.
Was wissen Primeln und Geranien
Von Rassenkunde und Medizin . . .
Ob Ecke Uhland die Kastanien
Wohl blühn?
(hinzugefügt aus dem Gedicht “Emigrantenmonolog”):
Das wird nie wieder, wie es war,
Wenn es auch anders wird.
Auch, wenn das liebe Glöcklein tönt,
Auch wenn kein Schwert mehr klirrt.
Mir ist zuweilen so, als ob
Das Herz in mir zerbrach.
Ich habe manchmal Heimweh.
Ich weiß nur nicht, wonach . . .
Mascha Kaléko schrieb ihr Gedicht „Sozusagen ein Mailied“ im Exil in New York. Die junge Dichterin einer sinnlichen Alltagslyrik war eine „Berliner Pflanze“; sie konnte weder dort, noch später in Jerusalem wieder Wurzeln schlagen. In ihrem Emigrantenmonolog, den wir am Ende des Liedes hinzugefügt haben, schreibt sie: „Mir ist zuweilen so, als ob das Herz in mir zerbrach. Ich habe manchmal Heimweh. Ich weiß nur nicht, wonach.“ Bevor sie ihre neu gefassten Pläne einer Heimkehr nach Berlin umsetzen konnte, ist sie Anfang 1975 auf dem Rückweg nach Jerusalem gestorben.