Monate: Oktober 2019

Sozusagen ein Mailied

Sozusagen ein Mailied (Text: Mascha Kaléko, Musik: Dieter Halbach) Manchmal, mitten in jenen Nächten, Die ein jeglicher von uns kennt, Wartend auf den Schlaf des Gerechten, Wie man ihn seltsamerweise nennt, Denke ich an den Rhein und die Elbe, Und kleiner, aber meiner, die Spree. Und immer wieder ist es dasselbe: Das Denken tut verteufelt weh. Manchmal, mitten im freien Manhatten, Unterwegs auf der Jagd nach dem Glück, Hör ich auf einmal das Rasseln der Ketten. Und das bringt mich wieder auf Preußen zurück. Ob dort die Vögel zu singen wagen? Gibt’s das noch: Werder im Blütenschnee . . . Wie mag die Havel das alles ertragen, Und was sagt der alte Grunewaldsee? Manchmal, angesichts neuer Bekanntschaft Mit üppiger Flora, – glad to see – Sehnt sichs in mir nach magerer Landschaft, Sandiger Kiefer, weißnichtwie. Was wissen Primeln und Geranien Von Rassenkunde und Medizin . . . Ob Ecke Uhland die Kastanien Wohl blühn? (hinzugefügt aus dem Gedicht “Emigrantenmonolog”): Das wird nie wieder, wie es war, Wenn es auch anders wird. Auch, wenn das liebe …

Mit leichtem Gepäck

Mit leichtem Gepäck (Text: Hilde Domin, Musik: Dieter Halbach) Gewöhn dich nicht. Du darfst dich nicht gewöhnen. Eine Rose ist eine Rose. Aber ein Heim ist kein Heim. Sag dem Schoßhund Gegenstand ab der dich anwedelt aus den Schaufenstern. Er irrt. Du riechst nicht nach Bleiben. Ein Löffel ist besser als zwei. Häng ihn dir um den Hals, du darfst einen haben, denn mit der Hand schöpft sich das Heiße zu schwer. Es liefe der Zucker dir durch die Finger, wie der Trost, wie der Wunsch, an dem Tag da er dein wird. Du darfst einen Löffel haben, eine Rose, vielleicht ein Herz und, vielleicht, ein Grab. Hilde Domin hat viele Länder auf ihrer Flucht bereist. Ihr Rat für Flüchtende, geschrieben 1962 8 Jahre nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, lautet so wie ihr Gedicht, denn es reist sich besser „Mit leichtem Gepäck“. Sie besteht darauf das eine „Rose eine Rose“ bleibt, auch wenn ein „Heim kein Heim“ ist. Das Bild der Rose steht dabei für die deutsche Sprache, die ihr im Exil immer Halt gegeben …

Unendlich

Unendlich (Text: Rose Ausländer, Musik: Dieter Halbach) Vergiss deine Grenzen Wandre aus Das Niemandsland – Unendlich – nimmt dich auf Wenn ich vergehe Wenn ich vergehe Wird die Sonne weiter brennen Die Weltkörper werden sich bewegen nach ihren Gesetzen um einen Mittelpunkt den keiner kennt Süß duften wird immer der Flieder weiße Blitze ausstrahlen der Schnee Wenn ich fortgehe von unserer vergesslichen Erde wirst du mein Wort ein Weilchen – wirst du mein Wort ein Weilchen – für mich sprechen? Rose Ausländer wurde in Czernowitz in der Bukowina geboren. Sie überlebte den Faschismus im Ghetto und später in Kellerverstecken, wo sie den Dichter Paul Celan (die „Todesfuge“) traf, der ihr Werk wesentlich beeinflussen sollte. Sie emigrierte 1946 nach der Übernahme durch Russland nach New York. Ihr Schreiben war ein Suchen nach Heimat, sie nennt es das „Mutterland Wort“. Dichten heißt für sie: „Sieben Höllen durchwandern / Der Himmel sieht es gern / geh sagt er / du hast nichts zu verlieren.“ 1964 kehrte sie nach Europa zurück. Wohnen blieb aber für sie ein Fremdwort. „Fliegend …

Mein blaues Klavier

Mein blaues Klavier (Text: Else Lasker-Schüler, Musik: Dieter Halbach) Ich habe zu Hause ein blaues Klavier. Und kenne doch keine Note. Es steht im Dunkel der Kellertür, seitdem die Welt verrohte. Es spielten Sternenhände vier – Die Mondfrau sang im Boote – Nun tanzen die Ratten im Geklirr. Zerbrochen ist die Klaviatür. Ich beweine die blaue Tote. Ach liebe Engel öffnet mir – Ich aß vom bitteren Brote – Mir lebend schon die Himmelstür- Auch wider dem Verbote. „Spielen ist alles“, lautete eine von Else Lasker-Schülers Devisen. Sie entwirft sich selbst als eine Märchenfigur: „Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.“ 1933 floh sie als schon berühmte Malerin und Dichterin zunächst nach Zürich und dann nach Israel. 1943 erscheint ihr letzter Gedichtband, benannt nach dem Gedicht „Mein blaues Klavier“. Darin beklagt sie den Verlust der Schönheit, der Mondfrau-Mutter, die Verrohung der Welt und bittet: „Ach liebe Engel öffnet …

Else Lasker-Schüler

Else Schüler wurde am 11. Februar 1869 in Elberfeld (Stadtteil von Wuppertal), geboren; gestorben ist sie am 22. Januar 1945 in Jerusalem. Die deutsch-jüdische Dichterin gilt als Vertreterin der avantgardistischen Moderne in der Literatur. Sie trat aber auch als Zeichnerin hervor. Als ihre Mutter am 27. Juli 1890 starb, bedeutete das für sie „die Vertreibung aus dem Paradies“. Sieben Jahre später starb auch ihr Vater. Am 24. August 1899 wurde ihr Sohn Paul geboren. In diesem Jahr wurden erste Gedichte veröffentlicht. Mit dem Gedichtband Meine Wunder (1911) wurde Lasker-Schüler zur führenden deutschen Expressionistin. Ohne eigenes Einkommen lebte Else Lasker-Schüler jetzt von der Unterstützung durch Freunde, insbesondere Karl Kraus. Im Sommer 1912 begegnete Else Lasker-Schüler Gottfried, was sich literarisch in einer großen Zahl von Liebesgedichten niederschlug. In ihrem Werk nimmt Liebeslyrik einen breiten Raum ein, aber daneben finden sich tief religiöse Gedichte. Die Übergänge sind dabei oft fließend. Vor allem das spätere Werk ist reich an biblischen und orientalischen Motiven. Lasker-Schüler ist sehr frei gegenüber den äußeren Regeln poetischer Form, auch vor sprachlichen Neuschöpfungen schreckt sie …

Hilde Domin

Hilde Domin, geboren am 27. Juli 1909 in Köln als Hilde Löwenstein und gestorben am 22. Februar 2006 in Heidelberg, war eine Lyrikerin, deren Texte von ihren jahrelangen Erfahrungen im Exil geprägt sind. So hielt sich Hilde Domin für über 20 Jahre in anderen Ländern auf, wie etwa Frankreich, Spanien oder Kanada sowie die Dominikanische Republik, die letzten Endes für den selbstgewählten Nachnamen Domin verantwortlich ist. 1932, ein Jahr vor der Machtergreifung Hitlers, verließ sie Deutschland gemeinsam mit Walter Palm und lebte, studierte und promovierte in Italien. Da sich die italienische Politik ab 1934 auch gegen Juden richtete und zugewanderte Juden keine Möglichkeit mehr hatten, die italienische Staatsbürgerschaft zu erhalten, entschied sich das Paar 1939 aus Italien zu fliehen und emigrierte über England in die Dominikanische Republik. Es folgten zahlreiche Aufenthalte in den USA. Die Schriftstellerin begann bereits im Jahr 1946 mit ersten literarischen Arbeiten. Durch eine zunehmende Entfremdung von ihrem Mann und den Tod ihrer Mutter beeinflusst, schrieb sie in dieser Zeit gegen die Vereinsamung an und gegen aufkommende Depressionen an. Hilde Domin kehrte …

Rose Ausländer

Am 11. Mai 1901 „im seidigen Grün einer Mainacht“ wurde Rose Ausländer in Czernowitz in der Bukowina geboren. Sie starb am 3. Januar 1988 in Düsseldorf. Fast das ganze 20. Jahrhundert umschließt das Leben der Dichterin; zwei Weltkriege, Flucht und Vertreibung, Schoa und Exil. Sie wurde zur Nomadin, die, nach dem Verlust der Heimat zwischen Europa und Amerika pendelnd, vergeblich versuchte, sich an einem Ort dieser Erde erneut zu verwurzeln. Einzig die Sprache blieb ihr – „unser verwundetes/geheiltes Deutsch“; sie lebte in ihrem „Mutterland Wort“. Ihr Schreiben ist das Vertrauen in die Assoziationskraft des Wortes, in das Vermögen des Gedichts, Welt auszusprechen und sichtbar zu machen. 1941 besetzten die Nazis die Bukowina und sie lebte bis zur Befreiung 1944 unter ständiger Todesfurcht im Getto der Stadt, später in Kellerverstecken. Dort traf sie Paul Celan, der auf ihre Gedichte aufmerksam wird. Nach dem Exil ließ sie sich 1965 endgültig in Düsseldorf nieder. Hier erschien noch im selben Jahr der Band ‚Linder Sommer‘, ihre erste Buchpublikation seit 1939. Beinahe jedes Jahr erschien nun eine Gedichtsammlung. Im Jahre …